Interview mit Dermatologin Prof. Dr. Regina Fölster-Holst
Hau(p)tsache aktuell: Was die überarbeitete S3-Leitlinie für Neurdermitis-Betroffene bedeutet
Frau Prof. Dr. Fölster-Holst, was ist die S3-Leitlinie „Atopische Dermatitis“?
Generell sind Leitlinien evidenzbasierte und praktische Orientierungs- und Entscheidungshilfen für Ärzt*innen zur sicheren und effektiven Diagnose und Therapie von verschieden Krankheitsbildern. Insgesamt gibt es vier unterschiedliche Stufen, eine S1-, S2k-, S2e- und S3-Leitlinie, wobei die höchste Zahl die stärkste Evidenz anzeigt. Somit hat die Leitlinie zur Behandlung der NeurodermitisChronisch oder chronisch-wiederkehrende entzündliche Hauterkrankung, die in Schüben verläuft und sich durch Rötungen und Juckreiz äußert. dementsprechend das höchste Niveau. Sie wurde nicht nur von unabhängigen Expert*innen anhand von Studienergebnissen und nach ausführlicher Literaturrecherche erstellt, sondern auch durch ein mehrstufiges Konsensverfahren geprüft. Das heißt, dass die in der Leitlinie empfohlenen Präparate und Behandlungsmethoden in langjährigen Studien auf Verträglichkeit, Wirksamkeit und Sicherheit getestet werden. Daher können Betroffene sicher sein, dass die Empfehlungen als sicher einzustufen sind.
Die S3-Leitlinie „Atopische Dermatitis“ wurde im Juni 2023 aktualisiert. Was waren die wichtigsten Updates? Gibt es darüber hinaus seit der Veröffentlichung der S3-Leitlinie noch aktuelle Erneuerungen?
In der Leitlinie werden vor allem lokale (topische) Therapien mit Salben und Cremes (solche, die der Haut Feuchtigkeit und Fette spenden, sowie solche, die Medikamente wie Kortikosteroide oder Calcineurininhibitoren gegen die entzündlichen Prozesse enthalten) sowie systemische Behandlungen mit Tabletten oder Injektionen empfohlen. Bei den Empfehlungen zu den systemischen Therapien gibt es einige Neuerungen in Bezug auf die Behandlung von Kindern und Säuglingen. So ist ein Biologikum nun bereits ab dem sechsten Lebensmonat, ein topischer Calcineurin-Hemmer ab dem 3. Lebensmonat und ein JAK-Inhibitor bei Kindern ab dem 2. Lebensjahr zugelassen.
„Da die Neurodermitis zumeist erstmalig in der frühen Kindheit auftritt, sind Behandlungen mit modernen Medikamenten bei Kindern und Säuglingen auf jeden Fall ein Zugewinn für den Behandlungsalltag. Das Therapieziel „juckreiz- und erscheinungsfreie Haut“ ist damit auch in jungen Jahren realistisch.“
Sie sprechen von modernen Systemtherapeutika wie Biologika und JAK-Inhibitoren. Können Sie laiengerecht erklären, was diese Therapien sind und wie sie wirken?
Ja, sehr gern. Systemtherapien sind, wie der Name schon sagt, Präparate, die auf das ganze System, also den ganzen Körper einwirken. Biologika werden aufgrund ihrer Größe unter die Haut gespritzt. Januskinaseinhibitoren (Hemmer der Januskinase, die eine entscheidende Rolle in der Auslösung der EntzündungAbwehrreaktion des Immunsystems auf einen ungewollten Reiz, z. B. gegen Eindringlinge im Körper wie Viren oder Bakterien. haben) werden als Tablette verabreicht Beide Medikamente hemmen wichtige entzündliche Prozesse in der Haut von NeurodermitisChronisch oder chronisch-wiederkehrende entzündliche Hauterkrankung, die in Schüben verläuft und sich durch Rötungen und Juckreiz äußert.-Patient*innen, indem sie im Gegensatz zum KortisonMedikament, das eine entzündungshemmende Wirkung hat. Wird zur äußerlichen Schuppenflechte-Behandlung angewendet. Auch Kortikoid oder Glukokortikoid genannt. gezielt in den entzündlichen Prozess eingreifen. Ich finde zur Erklärung des Wirkmechanismus die Schlüssel-Schloss-Analogie sehr anschaulich. Stellen Sie sich vor, hinter einer Haustür wartet eine EntzündungAbwehrreaktion des Immunsystems auf einen ungewollten Reiz, z. B. gegen Eindringlinge im Körper wie Viren oder Bakterien. darauf entfacht zu werden. Bei Menschen mit NeurodermitisChronisch oder chronisch-wiederkehrende entzündliche Hauterkrankung, die in Schüben verläuft und sich durch Rötungen und Juckreiz äußert. haben verschiedene Substanzen aus dem ImmunsystemKörpereigenes Abwehrsystem. Dient zur Beseitigung von Krankheitserregern und weiteren körperfremden Substanzen. einen „Schlüssel“, um diese Tür zu öffnen und somit einen NeurodermitisChronisch oder chronisch-wiederkehrende entzündliche Hauterkrankung, die in Schüben verläuft und sich durch Rötungen und Juckreiz äußert.-SchubWiederholendes Auftreten von Krankheitssymptomen bzw. die zeitweise Verschlechterung der Krankheit. Kann in unregelmäßigen Zeitabständen auftreten. auszulösen. Biologika und JAK-Inhibitoren sind „Ersatzschlüssel“, um die Tür zu verschließen. Somit wird eine erneute Entzündungsreaktion unterbunden, da das Schloss bereits „besetzt“ ist.
Tipp der „Bitte berühren“-Redaktion:
Von AnamneseErfassung der Krankengeschichte der Patientin bzw. des Patienten durch die Ärztin oder den Arzt. bis Zytokine: Das „Bitte berühren“-Glossar erklärt Fachbegriffe rund um die SchuppenflechtePsoriasis. Chronisch-entzündliche Erkrankung, die zu den Systemerkrankungen zählt, da die Entzündung nicht nur die Haut, sondern den gesamten Körper betrifft. einfach und verständlich.
Was raten Sie Eltern von Neurodermitis betroffenen Kindern, die Angst vor systemisch wirkenden Therapien haben?
Ich rate Eltern von Kindern mit schwerer NeurodermitisChronisch oder chronisch-wiederkehrende entzündliche Hauterkrankung, die in Schüben verläuft und sich durch Rötungen und Juckreiz äußert. auch systemische Therapien als Behandlungsoption ernsthaft in Betracht zu ziehen, wenn die Lokalbehandlung nicht zum Erfolg geführt hat. Denn dadurch, dass die Präparate eine sehr lange Testphase auf Verträglichkeit, Sicherheit und Effizienz durchlaufen haben, können sie unbedenklich und sicher eingesetzt werden. Bevor die Medikamente überhaupt bei Kindern und Säuglingen zugelassen werden, werden sie zu Beginn an Erwachsenen und anschließend an Jugendlichen im Alter von 12-17 Jahren getestet. Erst wenn sie sich in diesen Altersgruppen als sicher erweisen, kommen sie bei Kindern und Säuglingen in entsprechenden Studien zum Einsatz.
Welchen Weg sollten Patientinnen und Patienten gehen, um eine moderne Therapiemethode in Anspruch zu nehmen?
Das kommt darauf an, bei wem die Betroffenen aktuell behandelt werden und welcher Schweregrad der Erkrankung vorliegt. Moderne Therapien wie beispielsweise Biologika sind nur für Erwachsene und Jugendliche mit einer mittelschweren bis schweren NeurodermitisChronisch oder chronisch-wiederkehrende entzündliche Hauterkrankung, die in Schüben verläuft und sich durch Rötungen und Juckreiz äußert. zugelassen. Bei Kindern im Alter von 6 Monaten bis 11 Jahren ist die IndikationGrund für den Einsatz einer therapeutischen oder diagnostischen Maßnahme. Bei Arzneimitteln spricht man in diesem Zusammenhang auch vom Anwendungsgebiet. lediglich für schwere Formen zugelassen, zudem hat bisher nur ein Biologikum die Zulassung ab dem 3. Lebensmonat erhalten, ein JAK-Inhibitor ist ab dem 2. Lebensjahr zugelassen. Welcher Schweregrad vorliegt, kann anhand unterschiedlicher Hautscores bei der Dermatologin/Kinderärztin bzw. dem Dermatologen/Kinderarzt festgelegt werden. Dort können Betroffene sich auch zu modernen Behandlungsmethoden beraten lassen. Sollte sich die betreuende Ärztin bzw. der betreuende Arzt nicht mit modernen dermatologischen Therapieansätzen auskennen, ist es ratsam, betroffene Kinder zu einem dermatologischen Zentrum einer Haut- oder Kinderklinik zu überweisen.
In der neuen Leitlinie wird auch vermehrt auf Neurodermitis-Trigger eingegangen. Wie wichtig ist die Identifikation von individuellen Auslösern bei der Behandlung der Er-krankung?
Die Identifizierung von individuellen NeurodermitisChronisch oder chronisch-wiederkehrende entzündliche Hauterkrankung, die in Schüben verläuft und sich durch Rötungen und Juckreiz äußert.-Triggern ist von großer Bedeutung, da sie einen wesentlichen Einfluss auf den Verlauf der Erkrankung haben können. Da die NeurodermitisChronisch oder chronisch-wiederkehrende entzündliche Hauterkrankung, die in Schüben verläuft und sich durch Rötungen und Juckreiz äußert. zu dem atopischen Formenkreis gehört, kann das ImmunsystemKörpereigenes Abwehrsystem. Dient zur Beseitigung von Krankheitserregern und weiteren körperfremden Substanzen. von Betroffenen besonders stark auf harmlose Umwelteinflüsse wie beispielsweise Hausstaub, Pollen oder Nahrungsmittel reagieren. Diese Überreaktion führt dazu, dass sich das Hautbild bei den Patient*innen mit NeurodermitisChronisch oder chronisch-wiederkehrende entzündliche Hauterkrankung, die in Schüben verläuft und sich durch Rötungen und Juckreiz äußert. verschlechtert. Da jedoch nur eine Subgruppe der Patient*innen darauf allergisch reagiert (fakultative Triggerfaktoren), ist es wichtig diese Patient*innen zu identifizieren Denn nur so können Allergene vermieden und die Behandlung optimal unterstützt werden.
Wie können Neurodermitis-Trigger identifiziert werden? Was gilt es dabei besonders zu beachten?
Auslöser einer NeurodermitisChronisch oder chronisch-wiederkehrende entzündliche Hauterkrankung, die in Schüben verläuft und sich durch Rötungen und Juckreiz äußert. können auf unterschiedlichen Wegen identifiziert werden. Es kommt darauf an, ob die Allergene über die Nahrung aufgenommen werden oder in der Luft vorzufinden sind. Bei Lebensmittelallergien rate ich Betroffenen und Eltern von Kindern mit NeurodermitisChronisch oder chronisch-wiederkehrende entzündliche Hauterkrankung, die in Schüben verläuft und sich durch Rötungen und Juckreiz äußert. ein Ernährungstagebuch zu führen. Denn Unverträglichkeiten sind manchmal gar nicht so leicht zu erkennen. Deshalb sollen die Patient*innen genau dokumentieren, was zu welcher Tageszeit gegessen wurde. Parallel dazu wird der Hautzustand dokumentiert. Manchmal zeigen sich die Hautreaktionen nicht unmittelbar, sondern erst ein bis zwei Tage nach der Zuführung des Allergens.
Sollten Betroffene jedoch eher auf Stoffe aus der Luft wie Pollen oder Hausstaubmilben reagieren, dann sollte ein Prick- oder Reibetest bei der betreuenden Ärztin oder dem betreuenden Arzt durchgeführt werden. Daneben eignen sich Bluttests auf AntikörperEiweißmoleküle, die vom Immunsystem zur Bekämpfung von Krankheitserregern und anderen Fremdstoffen gebildet werden. Sie werden auch therapeutisch eingesetzt. (sogenannte Radio-Allergo-Sorbent-Tests (RAST-Tests)), um den Verdacht einer Allergie zu erhärten.
In der heutigen Zeit wird viel von „informierter Entscheidung“ oder „Shared Decision Making“ (SDM) gesprochen. Was genau ist darunter zu verstehen und kann es helfen, den Therapieerfolg positiv zu beeinflussen?
Dieser Therapieansatz sieht vor, dass Patient*in und Ärzt*in sich auf Augenhöhe austauschen und Entscheidungen hinsichtlich der Behandlung gemeinsam treffen. Damit das geschehen kann, müssen die Betroffenen jedoch ausreichend über ihre Erkrankung, die Behandlungsmöglichkeiten sowie über mögliche Nebenwirkungen aufgeklärt sein. Auch muss die Ärztin bzw. der Arzt auf Einwände gegen bestimmte Behandlungen eingehen und die Wünsche und Ziele der betroffenen Person berücksichtigen. Diese gemeinsamen Termine können besonders zu Beginn sehr zeitintensiv sein, da man in Ruhe die Auswirkungen des Krankheitsbildes und die entsprechenden Therapiemöglichkeiten erklären muss. Am Ende profitieren jedoch beide Parteien gleichermaßen. Für Ärzt*innen zum Beispiel sind die zukünftigen Visiten einfacher und effektiver umzusetzen. Auf der anderen Seite fällt es Patient*innen leichter, sich an den Therapieplan zu halten, da sie den Prozess nachvollziehen können und wissen, dass sie damit ihr Behandlungsziel schneller erreichen können.
Frau Prof. Dr. Fölster-Holst, vielen Dank für das Gespräch.